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„Wo ich bin, da bin ich richtig.“

  • von Kristina Trautmann
  • 30 Jan., 2019
Ich kann in jedem Moment und jeder Situation etwas Wertvolles und Sinnhaftes finden.

So kurz der Satz ist, umso tiefer ist sein Inhalt. Ich habe ihn vor einiger Zeit von einem Seminarteilnehmer gehört, der Erfahrungen mit Überlastung hat und ihn mittlerweile zu seinem Lebensmotto gemacht hat. Welche Tiefe in dieser Aussage steckt und was Stress und Effizienz damit zu tun haben, bringe ich Ihnen in diesem Artikel näher.

Ich erinnere mich gut an die Diskussion, in der dieser Satz gefallen ist. Es war ein Seminar zum Thema Stressmanagement und wir hatten eine offene, vertraute Runde. Es waren einige mutige Teilnehmende dabei, die offen von ihren Überlastungserfahrungen, Neudeutsch auch Burn-Out, und ihrem folgenden psychischen Tiefpunkt berichtet haben. Es kristallisierten sich zwei Lager heraus: 1) Die rehabilitierten Überlastungserfahrenen, die den großen Knall schon erlebt und überstanden hatten und nun am eigenen Leib wissen, wie wichtig gute Selbstfürsorge ist und was passiert, wenn man sein Konto standardmäßig im Minus hält. Und 2) die symptomatischen Überlastungsanwärter, die auf dem besten Wege sind, sich selbst herunterzuwirtschaften und bei denen es bereits an den ersten Stellen zwickt, die aber noch völlig im gedanklichen Hamsterrad gefangen sind. So viel sei schon mal gesagt, der Zitatschöpfer gehört zur ersten Gruppe und hat die Selbsterfahrung schon hinter sich.

Der selbstgewählte Weg der Überlastung

Die Überlastungserfahrenen kann man nicht mehr vor dem Zusammenbruch schützen, sondern nur noch vor einer Wiederholungstat. Die Überlastungsanwärter hingegen bieten da mehr Präventionspotenzial. Gerade, wenn die Risiken offensichtlich sind und sich erste körperliche und psychische Symptome breit machen, sollte man doch meinen, dass man die Überlastungsanwärter einmal kräftig durchschüttelt und sie selbst sehen müssten, in welcher brenzlichen Lage sie stecken. Aber Fehlanzeige. In den meisten Fällen kann das die beschlagene Brille der Selbstwahrnehmung nicht klären. Diese Situation kann man durchaus als etwas befremdlich empfinden und die Frage danach, warum zum Teufel man sich selbst in diese Lage bringt und sie nicht mal erkennen kann, geschweige denn in der Lage ist, einzugreifen, ist berechtigt. Möchte der Mensch sich selbst schaden? Ist das ein Selbstverletzungsdrang? Der Psychoanalytiker Sigmund Freud würde das wohlmöglich bejahen und mit dem Thanatos (Todestrieb) argumentieren, wonach der Mensch einen selbstzerstörerischen Anteil bzw. Trieb in sich trägt. Ich vertrete ein anderes, deutlich positiveres Menschenbild, wie es bspw. von dem Psychologen Carl Rogers vertreten wurde: Der Mensch hat ein natürliches Bedürfnis zur Entfaltung und Weiterentwicklung, unser Verhalten ist konstruktiv und zielgerichtet. Aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, was der gute Grund der Überlastungsanwärter ist, weiter im Hamsterrad zu laufen.

Paradoxe Stressbewältigung: Der Marathon im Hamsterrad

Von außen betrachtet ist die Lösung so leicht: „Liebe Überlastungsanwärter, bitte verlassen Sie umgehend das Hamsterrad. Vielen Dank für Ihren Beitrag zum Aufrechterhalten des Stresspegels der Gesellschaft. Sie dürfen sich jetzt wieder entspannen.“ Tatsächlich ist das Hamsterrad aber bildlich zu sehen. Es gibt keinen Stopknopf. Ist das Rad erst einmal am Drehen, gibt es (nahezu) kein Entkommen. Für dieses Phänomen wirken diverse Aspekte zusammen. Einer davon ist der vermeintliche Nutzen davon, unser guter Grund für dieses Verhalten. Was zum Teufel könnte ein guter Grund dafür sein, freiwillig ins Hamsterrad zu gehen und dann dort zu bleiben?!

  • Im Hamsterrad ist Sprinttempo angesagt – Ich erledige meine Aufgaben schnell.
  • Ich lege große Distanz zurück – Ich kann mich um viele Aufgaben kümmern.
  • Das Hamsterrad entwickelt Eigendynamik – Ich komme in einen Flow, Multitasking wird zum Kinderspiel und ich erledige dies und das mal eben nebenbei.

Das Hamsterrad ist also ein Paradies für Effizienz. Und Effizienz ist spitze, erstrebenswert, eine Kompetenz der Erfolgreichen und der Macher-Typen. Zumindest scheint dieses Bild in vielen Gruppen der Gesellschaft und Wirtschaft weit verbreitet zu sein. Das spüren wir natürlich. Und da wir Rudeltiere sind, denen Akzeptanz, Zugehörigkeit und Anerkennung wichtige psychische Bedürfnisse sind, wollen wir den wünschenswerten Bildern unserer Gesellschaft auch gerne entsprechen. Darin könnte einer der Antreiber für den freiwilligen Einstieg in’s Hamsterrad liegen. Ich persönlich glaube auch, dass das einer der Hauptgründe für die gesellschaftliche Akzeptanz von Burnout ist – Personen mit Burnout haben das Wunschideal Effizienz häufig perfektioniert. Komisch, dass das auf einmal in Arbeitsunfähigkeit und Klinikaufenthalt mündet und nicht in Nobelpreis und Aufstieg in der Karriereleiter.

Crash mit Körper und Seele

Wir haben einen wichtigen Antreiber für das Hamsterrad identifiziert – Effizienz als Strategie für Akzeptanz, Anerkennung und Zugehörigkeit. Damit haben wir einen guten Grund für dieses Verhalten. Der Antreiber ist egoistisch. Er steht für sein Bedürfnis ein und möchte das erfüllt bekommen. Und dabei vergisst er leider den Preis, den er dafür bezahlt. Er hat die Rechnung nämlich ohne Körper und Seele gemacht. Wie stehen die beiden denn zur Effizienz? Ich würde mal behaupten, den beiden zieht es ordentlich in der Magengegend. Im Zuge der Evolution wurde das Wort Effizienz wohl irgendwie vergessen. Kurz gesagt: Wir sind nicht dafür ausgelegt, dauerhaft im Hamsterrad zu laufen. Kurzfristig ist das gar kein Problem, dafür sind unsere Stressreaktionen ursprünglich ausgelegt. Kurzzeitige Bedrohungen von Säbelzahntigern wie den Jahresgesprächen oder dem gefürchteten Geschäftsführer können wir gut verkraften. Für chronischen Personalmangel mit Überstunden und anhaltende Konflikte im Team haben wir schlichtweg kein Stressprogramm zur Verfügung! Uns fehlt die Strategie. Also agieren wir so, wie bei „Kurzzeitbedrohungen“. Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann und das Stressprogramm aus dem Ruder läuft, verwundert wohl nicht. Der Nährboden für Überlastung ist gesät und Rücken, Nacken, Magen, Darm und Schlaf stehen in den Startlöchern.

Was hilft uns jetzt das Motto „Wo ich bin, da bin ich richtig?“

Im Hamsterrad gebe ich kontinuierlich meine Selbstkontrolle ab. Je länger ich laufe, desto mehr lasse ich mich leiten von Antreibern wie Akzeptanz, Zugehörigkeit und Anerkennung. Die Liste von Antreibern könnten wir noch beliebig erweitern. Mit Hilfe der Haltung, die der rehabilitierte Überlastungserfahrene mit diesem Satz ausdrückt, befreit er sich aus dem Hamsterrad und gibt sich wieder seine Selbstkontrolle zurück. Er unterbricht den Marathon und besinnt sich auf den Moment, in dem er gerade ist. Dafür nutzt er die Strategie der Achtsamkeit, das bewusste Erleben und Wahrnehmen der jetzigen Situation. Was war, was sein könnte, was eigentlich gerade zu erledigen wäre ist in diesem Moment unwichtig. Dadurch kann eine Positivspirale in Gang kommen. Wenn ich im jetzigen Moment ankomme, kann ich die beste Erfahrung daraus machen und mich auf tolle Menschen und Gespräche einlassen. Ich kann die schöne Aussicht, Natur oder das Wetter wirken lassen und bewusst genießen. Ich komme an, statt innerlich getrieben zu sein. Das wiederum reduziert den Stresspegel und schützt mich vor der vielgefürchteten Überlastung.

Notausgang aus dem Hamsterrad

Jeder von uns landet wohl oder übel ab und an mal im Hamsterrad. Das ist auch per se gar nicht schlecht, denn kurzfristig hat Effizienz durchaus seine Vorzüge und kann sinnvoll sein. Diese Anregungen können Ihnen aber dabei helfen, sich vor der Endlosschleife im Hamsterrad zu schützen und im Kontakt mit sich selbst zu bleiben. Das ist letztlich die beste Vorsorge!

Kleine Routinen zur täglichen Selbstfürsorge:

Lassen Sie täglich gegen Abend (z.B. zu Beginn des Feierabends, vor dem Zubettgehen), den jeweiligen Tag Revue passieren. Hilfreiche Fragen könnten dabei sein:

  1. Starten Sie mit den Ereignissen des Tages. Was haben Sie erlebt? Wie sind Ihre geplanten Termine gelaufen, welche unvorhergesehenen Dinge sind passiert?
  2. Unter’m Stich - wie ging es Ihnen heute damit? Es kann hilfreich sein, dafür die Augen zu schließen, um sich wirklich auf sein Gefühl zu fokussieren.
  3. Welche unterschiedlichen Gefühle haben Sie heute wahrgenommen? Sind sie klar positiv wie Freude, Überraschung und Stolz, negativ wie Angst, Traurigkeit und Wut oder war etwas von beidem dabei?
  4. Gibt es eine Stelle im Körper, die Sie besonders wahrnehmen (z.B. schwere Beine, wohliges Gefühl im Bauch, harte Schultern, …)?
  5. Kommt Ihnen eine bestimmte Situation des Tages in’s Gedächtnis, die sinnbildlich für Ihre Stimmung an diesem Tag gewesen ist?
  6. Gibt es ein Bild, was den Tag für Sie gut zusammenfasst und widerspiegelt?
  7. Gab es einen Geruch, den Sie mit dem heutigen Tag verbinden?
  8. Alles ist eine Frage der Perspektive und jeden Tag begegnet uns etwas Positives. Wer oder was ist Ihnen heute dankenswertes begegnet?

 Ich wünsche Ihnen bewusste Ausflüge in’s Hamsterrad und eine selbstbestimmte Rückkehr in Ihre gesunde Komfortzone. Mögen Sie ankommen und sich wohlfühlen, wo immer Sie gerade sind.

 

Ihre Kristina Trautmann

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